Kieferfehlstellungen
Unter Kieferfehlstellungen versteht man Wachstumsstörungen des knöcheren Anteil des Gebisses. Ober- und Unterkiefer bestehen aus unabhängig voneinander wachsenden Knochen, wobei sich der Oberkiefer zudem aus drei einzelenen Knochen zusammensetzt. Um eine optimale Paßform der Kieferanteile untereinander zu erreichen, müssen die einzelnen Knochen seitengleich und auch in der Relation zwischen Ober- und Unterkiefer gleichmäßíg wachsen. Verläuft dieses Kieferwachstum unregelmäßig, können die betroffenen Kieferanteile zu lang oder zu kurz ausgebildet werden. Tritt eine solche Wachstumsstörung nur einseitig auf, kann zudem eine seitliche Verschwenkung des Kiefers resultieren. Durch die Züchtung verschiedener Hunderassen haben sich im Laufe der Zeit jedoch auch rassetypische Veränderungen der Kopf – und damit auch der Gebißform – herausgebildet.
Beurteilung, ob eine Veränderung der Gebißform vorliegt hängt also im wesentlichen auch davon ab, bei welcher Rasse diese Veränderung auftritt.
Im Normalfall ist der Oberkiefer etwas länger als der Unterkiefer, so dass die Schneidezähne des Oberkiefer vor den Schneidezähnen des Unterkiefer liegen. Diese Verzahnung nennt man Scherengebiß. Ist der Unterkiefer dagegen länger ausgebildet als der Oberkiefer, liegen die Schneidezähne des Oberkiefer hinter den Schneidezähnen des Unterkiefer. Diese Verzahnung nennt man Vorbiß und findet sie als erforderliches Rassemerkmal z.B. bei Boxern, Möpsen und Bulldogen. Bei einem Schäferhund jedoch wäre eine solche Verzahnung als Kieferfehlstellung zu betrachten und würde zum Zuchtausschluß führen
Therapiemöglichkeiten
Kieferfehlstellungen sind in der Regel erblich bedingt und sollten bei den betroffenen Tieren den Zuchtausschluß zur Folge haben. Führt eine Kieferfehlstellung bei dem betroffenen Tier jedoch zu Schäden oder Schmerzen im Maulbereich, wird eine Behandlung notwendig. Wünschenswert ist dabei jedoch eine gleichzeitige Kastration des betreffenden Tieres, um eine Vermehrung mit der Weitergabe des Erbfehlers zu verhindern. Die Unterscheidung, ob eine Fehlstellung erblich bedingt ist oder erst nach der Geburt erworben wurde wird erst durch die Untersuchung aller einzelnen Komponenten des Gebisses möglich und kann in Einzelfällen auch nicht immer sicher festgelegt werden. Eventuell kann eine Klärung durch die Untersuchung von Wurfgeschwistern oder Eltern- bzw. Großelterntieren herbeigeführt werden.
Als Therapiemöglichkeiten stehen je nach Einzelfall die Kürzung der betroffenen Zähne sowie die Umstellung einzelner Zähne oder ganzer Kieferteile zur Verfügung. Auch die Extraktion einzelner Zähne kann zur Vermeidung von Schäden nützlich sein, sollte aber vor allem bei den Fangzähnen die letzte Möglichkeit darstellen.
Einschlifftherapie
Ist eine Umstellung eines fehlgestellten Zahnes nicht gewünscht oder nicht durchführbar, so ist das Einkürzen der Zahnkrone das Mittel der Wahl. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um die Fangzähne der Unterkiefer, die bei geschlossenem Fang das Gaumendach schädigen. Die Zahnkrone wird unter Vollnarkose mit einer Schleifscheibe oder einem Diamantbohrer so weit gekürzt, das der Kronenstumpf das Gaumendach nicht mehr erreicht. Dabei wird zwangsweise die Wurzelhöhle eröffnet, die in der gleichen Narkosesitzung nach Wundversorgung des Wurzelgewebes durch eine Füllung verschlossen wird.
Im Bild rechts ist ein Patient mit einem Steilstand des linken unteren Fangzahnes ( Caninus) zu sehen. Bei geschlossenem Fang bohrt sich die Spitze des Fangzahnes in den Gaumen. Ursache für diese Fehlstellung ist ein zu kurz ausgebildeter Unterkiefer. Dies ist durch den zu großen Abstand der Unterkieferschneidezähne zu den Oberkieferschneidezähnen zu erkennen. Diese Verzahnung nennt man „Rückbiß“
Als Therapie wurde in diesem Fall das Einkürzen des fehlstehenden Fangzahnes durchgeführt. Dabei wird unter Narkosebedingungen der Fangzahn mit einer diamantierten Schleifscheibe oder einem Diamantbohrer so weit gekürzt, das er bei geschlossenem Fang den Gaumen nicht mehr berührt.
Nach dem Abschliff wird die Bißsituation auf ausreichende Wirkung kontrolliert. Da bei dieser Therapie zwangsläufig die Wurzelhöhle eröffnet wird, muß das Wurzelgewebe wie eine offene Wunde behandelt werden. Der oberste Teil des Wurzelgewebes wird entfernt um Platz für eine Plombe zu schaffen. Nach Blutstillung und Wundabdeckung durch eine Medikamenteneinlage wird die Wurzelhöhle mit Kunststoff verschlossen
Umstellungstherapie
Bei der Umstellungstherapie können im einfachsten Falle fehlgestellte Zähne durch tägliche Kauspiele mit geeigneten Hilfsmitteln wie Gummibällen oder Fingermassage in die korrekte Position gebracht werden. Manchmal ist die Ausgangssituation aber auch komplizierter und erfordert eine Therapie durch kieferorthopädische Geräte. Diese sind in ihrem Aufbau und Funktionsweise den Geräten aus der menschlichen Zahnheilkunde sehr ähnlich oder sogar identisch. Die Anwendung beim Hund erfordert jedoch situationsbedingt einige Besonderheiten. So kann man einem Hund nur in Ausnahmefällen eine herausnehmbare Klammer anpassen, da diese nicht freiwillig getragen wird und der Patient sie schnell wieder ausspuckt. Eine festsitzende Vorrichtung ist also zumeist notwendig. Auch das Verhalten und die tägliche Routine ist für den Patienten für die Zeit der Behandlung eingeschränkt. So darf ein Hund mit Bracketknöpfen auf den Zähnen keine harten Gegenstände oder Futtermittel kauen, da die Gefahr des Verlustes der Bracketknöpfe zu groß ist. Auch bei unbeaufsichtigtem Freilauf kann durch die Aufnahme harter Gegenstände oder Kauen von Ästen oder ähnlichem die Apparatur beschädigt werden oder verlorengehen. Bei der Behandlung mit einer schiefen Ebene hingegen ist das vermehrte Kauen sogar erwünscht, da durch den Kaudruck die Zähne auf einer Gleitschiene in die richtige Position geführt werden.
Vor der Behandlung:
Der linke Oberkieferfangzahn steht zu weit vorne und blockiert den linken Unterkieferfangzahn
Während der Behandlung:
Aufgeklebter Bracketknopf auf dem Fangzahn mit eingehängtem Gummizug.
Während der Behandlung:
Zwei Wochen nach Behandlungsbeginn ist der Fangzahn in die Endposition beweg
Nach der Behandlung:
Kontrolle der Zahnstellung im Rahmen einer Impfuntersuchung 19 Monate nach Behandlungsende.
Vor der Behandlung
Der Unterkiefer ist zu kurz ausgebildet, die Unterkieferschneidezähne stehen zu weit hinter den Oberkieferschneidezähnen. Dadurch sind die Unterkieferfangzähne in ihrer Auswärtsbewegung blockiert worden und bohren sich in den Gaumen. Im Bild rechts ist der linke Unterkieferfangzahn in seiner Fehlstellung erkennbar.
Beginn der Behandlung:
Zwischen den Oberkieferfangzähnen ist eine schiefe Ebene aus Kunststoff auf ein Drahtgerüst modeliert worden. Beim Schliessen des Fanges treffen die Spitzen der Unterkieferfangzähne auf diese Ebene. Durch den Kaudruck wird der Kiefer langsam nach vorne gelenkt. Kiefergelenk und Muskulatur werden so umtrainiert und ein noch ausstehender Wachstumsschub des Unterkiefer angeregt.
Während der Behandlung:
Nach ausreichender Umstellung des Unterkiefer ist das Grundmodell der schiefen Ebene durch eine nach aussen gerichtete Rutsche ergänzt worden. Diese zweite Ebene lenkt nun den Unterkieferfangzahn nach aussen.
Nach der Behandlung:
Die schiefe Ebene ist nach Abschluss der Umstellungstherapie entfernt worden. Der Unterkieferfangzahn steht in seiner Endposition.
Die beiden mittleren Schneidezähne des Oberkiefer stehen zu weit in Richtung Maulhöhle und liegen mit ihren Zahnkronen hinter den Unterkieferschneidezähnen. Für die Behandlung dieser Einzelzahnfehlstellungen ist die Bewertung einer möglichen genetischen Ursache vor allem im Rahmen der Zuchthygiene wichtig. Bei Verdacht auf eine genetische Ursache dieser Fehlstellung sollte eine Therapie nur nach Ausschluß einer möglichen Vermehrung (Kastration) erfolgen
Die Behandlung dieser Zahnfehlstellung erfolgt mit einem festsitzendem kieferorthopädischen Gerät. Das Grundgerüst wird auf den Fangzähnen und den dritten Schneidezähnen des Oberkiefer aufzementiert. Hinter den fehlgestellten mittleren Schneidezähnen sind zwei Schrauben mit eingebauten Federbolzen installiert. Nach dem Einbau des Gerätes werden die Schrauben bis an die Rückfläche der Schneidezähne gedreht. Die eingebauten Federn werden so gespannt und drücken den Bolzen an die Zähne, die so langsam in ihre Position bewegt werden